Start der humanistischen Ausbildung
Mit dem Übergang auf das Gymnasium wurde das Leben nun
deutlich schwieriger. Jetzt hatte ich vier Sprachen zu bewältigen.
Latein kam mir lateinisch vor.
Griechisch war spannend.
Englisch: no problem!
Deutsch: kein Problem!
Die Problemfächer waren Mathe und Latein. Noten
konnten häufig nur durch meine sportlichen Leistungen im Handball und Beiträge
zur Schulzeitung ausgeglichen werden.
Meine Eltern suchten einen Nachhilfelehrer. Besonders
meine Lateinzensuren machten ihnen Sorgen.
So trat Josef Guter in mein Leben. Ich war von seinem
Studierzimmer total begeistert. Tausende Bücher! Nach den Übungsstunden wurde
über Literatur und aktuelle Ereignisse diskutiert. Er hat mit seiner ruhigen
Art und dem immensen Wissen meinen Literaturgeschmack wesentlich geprägt.
Keinen Tag mehr ohne ein Buch. Latein blieb dennoch ein latenter Problemfall.
Trotz der wöchentlichen Nachhilfe waren die Noten immer im roten Bereich. Ich
hätte die Einzernote vom Griechisch gerne zur Halbierung der Lateinnote
genutzt.
Andere „schwache“ Fächer forderten oft heroischen Einsatz.
Teilnahme an den Handball-Schulmeisterschaften und eine Fortsetzungsgeschichte
in der Schulzeitung für die Unterstufe brachten wichtige Punkte. Die
Meisterschaft wurde gewonnen und ich hatte den genialen Einfall die Fortsetzung
der spannenden Abenteuergeschichte mangels eigener Einfälle in einen Wettbewerb
für den Schluss umzuwidmen.
Der erste Preis für den Schluss der Geschichte war ein
Süßwarenkarton. Onkel sei Dank. Wieder eine „gute“ Möglichkeit zum Ausbügeln
von kritischen Zensuren.
Die fürchterliche Nachprüfung mit dem guten Ende
Besonders Mathenoten waren stets in Gefahr. Ich musste
wegen verpasster Klausuren an einem Samstag in der Schule antanzen. Oh Graus,
allein mit dem strengen Dr. Böhle! Keine Unterstützung durch kompetente
Klassenkameraden. Das Leben konnte so grausam sein.
Die Folter fand im Musikzimmer statt. Ich erhielt die
Aufgaben und schon der erste Blick lies Schlimmes erahnen. In der Not erinnerte
ich mich an den Rat unseres Mathe-Primus: „Löse erst die Aufgaben, die du
verstehst. Du wirst Zeit für die schweren Aufgaben benötigen.“ Zwei, drei der
Aufgaben wurden mit leidlich gutem Bauchgefühl erledigt.
Bei der vierten Aufgabe fühlte ich mich sehr klein.
Nicht mal ein Lösungsansatz fiel mir ein. Dr. Böhle stand wie ein graues
Monument am Pult. Grauer Anzug, graue Krawatte! Er sah meinen verzweifelten
Blick und kam an meinen Platz. Ein kurzer, strenger Blick und dann die Worte:
"Machen Sie doch eine kurze Pause und gehen zur Toilette.“ Ich dachte,
nun gibt er dir den Todesstoß! Nur raus, Hilfe!
Als ich zurückkam, stand die Lösung meiner Problemaufgabe
säuberlich mit Kreide auf der Rückwand der Tafel. Was hat der Teufel bloß mit
mir vor, schoss es durch mein strapaziertes Hirn. Egal, in der Not frisst der
Teufel Fliegen. Dr. Böhle saß lesend auf seinem Stuhl und ignorierte mich.
Die nächste Aufgabe konnte ich einigermaßen lösen, saß
aber kurz danach wieder fest. Die Prozedur wiederholte sich. Ich wurde auf die
Toilette geschickt und fand erneut die Lösung auf der Tafelrückwand.
Dieses Verfahren wurde bis zur letzten Aufgabe
weitergeführt. Nach Abgabe meiner Arbeit warf er einen kurzen Blick darauf und
sagte: "Es geht doch, wenn Sie sich Mühe geben. Weiter so."
"Werden wir im nächsten Jahr wieder
Schulhandballmeister? Beim Finale haben Sie hervorragend gespielt."
Es fiel mir siedend heiß ein: Dr. Böhle war ein
Handballfanatiker!!!!!
Erkenntnis: Gute Taten
können sich gelegentlich lohnen
Das kam mir sehr lateinisch vor
Auf einem humanistischen Gymnasium eine glatte 5 in
Latein war nicht gerade ein Ruhmesblatt. Hier gab es Handlungsbedarf. Für die
nächste Klausur hatte ich mir wichtige Notizen zurechtgeschnitten und konnte
sie tatsächlich nutzen. Den Tag der Rückgabe der Arbeiten werde ich nie vergessen.
Dr. Klee verkündete: "Der Klassendurchschnitt liegt bei 4-, nur eine
Arbeit wurde mit 2+ abgegeben. Diese Arbeit kommt ausgerechnet von unserem
Sorgenkind."
„Ich würde das Ergebnis auch gerne festschreiben, wenn
nicht diese zurechtgeschnittenen Seiten im Heft geblieben wären.“ Triumphierend
hielt er meine "Problemlöser“ in die Luft.
Erkenntnis: Beim
Schummeln sollte man besonders sorgfältig vorgehen
Meine Eltern waren sehr stolz auf mich, nachdem meine
Mutter ein Lateinbuch unter meinem Kopfkissen fand. Der Junge war ja so
fleißig. Ich hatte zwar den Vorsatz versäumtes Grammatikwissen aufzuarbeiten,
aber nach wenigen Minuten war ein Billy-Jenkins-Schmöker interessanter.
Den Trick mit den Schulbüchern unter dem Kopfkissen
habe ich dann noch oft eingesetzt. Meine Eltern erzählten von meinem Lerneifer
allen Freunden und Bekannten. Der Junge macht sich!
Erkenntnis: Auch Eltern
brauchen Erfolgserlebnisse!
Dabeisein ist alles, oder?
Für den Schulweg schenkten mir meine Eltern ein neues
Fahrrad. Mit Gangschaltung und vielen Extras. Ihre Enttäuschung war groß, als
ich mich über ihr Geschenk nicht freute. Ich erklärte ihnen, dass an unserer
Edelpenne man nur Insider war, wenn man ein möglichst altes Rad mit Gesundheitslenker
fuhr. Die favorisierte Farbe war Schwarz und Rostflecken waren erwünscht.
Außerdem gehörte ein beigefarbener Dufflecoat zum standesgemäßen Auftreten eines
Zöglings unseres Gymnasiums.
Das Prachtrad wurde also gegen einen klapprigen Drahtesel
eingetauscht. Sicherlich waren meine Eltern sehr nachdenklich geworden. Der
Junge spinnt!
Als ich dann noch den beigefarbenen Dufflecoat erhielt,
hatte das zwar keine Auswirkungen auf meine schulischen Leistungen, aber ich
fühlte mich nun endlich als vollwertiges Mitglied der Eliteschule.
Erkenntnis: Dabei sein
ist nicht alles, aber ein schönes Gefühl!
Mein Lieblingsfach war Geschichte. "Drei, drei,
drei bei Issos Keilerei", blieb ewig in im Gedächtnis, hat mir im späteren
Lebenslauf aber nicht viel genutzt. Die Römer und Griechen wurden sehr
ausführlich behandelt. Meine Eltern schenkten mir die 36-bändige Weltgeschichte
von Otto Zierer, und ich verschlang die Bücher in zwei Monaten. Die Geschichtszensur
verbesserte den gesamten Notenschnitt immens.
Als wir auf der Zeitreise zum „Dritten Reich“ gelangten,
wurde diese schreckliche Zeit in sechs Wochen abgehandelt. Oberstudienrat Dr.
Ide hatte uns im Unterricht von seinen persönlichen Erlebnissen erzählt. Er war
Stuka-Pilot und kämpfte bis zum Kriegsende im Glauben alles für das Reich und
Vaterland zu tun. Erst nach der Heimkehr wurde ihm bewusst, dass er ein völlig
falsches Bild von dieser Zeit hatte. Die Wahrheit wurde ihm bewusst, und er
wäre deprimiert und bis zum heutigen Tag schuldbewusst.
Er riet uns immer, die Augen aufzuhalten und Nachrichten
stets kritisch zu betrachten. Begeistert von seinem "Geständnis“
erzählten wir unsere Eltern von seiner Wandlung vom Saulus zum Paulus. Es gab
eine Art Verdrängung in den Familien. Man konnte den Eindruck gewinnen! 1933 -
1945 hätte es nie gegeben.
Lebenserfahrungen:
Einige Eltern mussten sich über Dr. Ide beschwert haben.
Ergebnis: Er wurde
umgehend auf einen Verwaltungsjob bei der Schulbehörde versetzt.
Wir waren empört, aber alle Fragen, warum er so behandelt
wurde, verliefen im Sande. Wir haben später versucht den Fall in unserer
Schulzeitung zu diskutieren, wurden jedoch ausgebremst.
Erkenntnis: Wenn Du die Wahrheit sagst, denke an die
Konsequenzen
In meiner Klasse fand ich schnell neue Freunde. Besonders
der Sohn des damaligen deutschen Botschafters in Moskau sorgte für
Unterhaltung. „Gröpper, warum klopfen Sie sich immer nach einer Antwort auf die
Schulter?“ „Sonst lobt mich ja keiner, Frau Doktor.“ Als Diplomatensohn hatte
er schon Schulen in vielen Ländern besucht und konnte spannende Geschichten
erzählen.
Die anderen Mitschüler waren der übliche Mix: Streber,
Klassenclown, Sportskanonen und Lebenskünstler. Viele folgten der
Familientradition. Schon Großvater war Schüler auf dem Alten Gymnasium!
Auf den großen Fluren standen auf Sockeln antike Statuen.
Von dem bronzenen Diskuswerfer hieß es: Ohne diese Spende seiner Eltern hätte der
Sohn sein Abitur nie geschafft!
Lebenserfahrungen:
Honi soit qui mal y pense
Große Aufregung herrschte, als dem Diskuswerfer der
Penis abgebrochen wurde. Die Stifterfamilie sorgte umgehend für Reparatur.
Erkenntnis: Tradition
bleibt Tradition
Sport wurde geradezu professionell betrieben. Unsere
Handballmannschaft kämpfte stets um die Schulmeisterschaft. Hauptgegner war
das Hermann-Böse-Gymnasium, kurz „Jumbo“ genannt, da sie ein Elefantendenkmal
in der Nähe hatten.
Der Gewinn der Meisterschaft half mir später bei der
Mathezensur.
Erkenntnis: Sich regen
bringt manchmal Segen
Weitere populäre Sportarten waren Hockey und Rudern.
Hockey wurde nur kurzzeitig von mir betrieben. Meine Tätigkeit als Redakteur
der Schulzeitung Hermes und der zeitliche Aufwand für die Nachhilfestunden
erlaubten jedoch keine weiteren Sportaktivitäten.
Lebenserfahrungen:
Time-Management braucht einfach Zeit
Sehr beliebt waren auch die jährlichen
Theateraufführungen in der Aula. Mein erster Einsatz war die Darstellung eines
murmelnden Baches. Ich musste mehrfach mit einem Mundvoll Wasser die Bühne überqueren.
Die Proben waren quälend. Mir gelang einfach nicht vor lauter Lachen, das geforderte
Plätschern zu produzieren.
Bei der Aufführung gelang es dennoch. Nur meiner Mutter
war es peinlich, als mein Vater voller Stolz rief: „Das ist mein Sohn dort!“
Erkenntnis: Nimm den
Mund nicht zu voll
Die Schulzeitung
Unsere Schulzeitung Hermes wurde fast professionell
betrieben. Ich nutzte die Aufforderung als Redakteur für die Unterstufe zu
arbeiten gerne. Die Tätigkeit schaffte Freiräume. Wir interviewten zum Beispiel
den legendären Bürgermeister Wilhelm Kaisen. Geduldig beantwortete er die
Fragen. Wir waren natürlich sehr aufgeregt. Er überzog die verabredete Zeit um
fast 30 Minuten. Wir erfuhren viel über seine Aufgaben und Ansichten.
Der Artikel wurde später mehrfach ausgezeichnet.
Als ich anfing, Artikel in Englisch zu veröffentlichen,
war ich in meinem Element. Als unser Nachbar, ein Oberstudienrat, meinen
Eltern mitteilte, dass meine Artikel eine weit über mein Alter herausgehende
Reife hätten, wuchs deren Toleranzschwelle gewaltig. Der Junge war ein Genie!
Gut, dass niemand die Quelle meiner Artikel kannte.
Ich hatte einfach Inhalte und Themen der „Saturday Evening Post“ auf
Unterstufenniveau umgeschrieben.
Erkenntnis: Das Rad
muss ja nicht immer neu erfunden werden, oder?
Die Fernschule in den USA
Als ich eine Anzeige einer Fernschule in Scranton, USA
sah, reifte der Entschluss mich dort anzumelden. Ein Kursus mit dem Ziel die
Aufnahmebedingungen für den Besuch eines Junior Colleges schien die richtige
Wahl zu sein. Man war über meine Anmeldung sehr erstaunt. Ich war der erste
Europäer der Schule.
Die Aufgaben kamen per Post und wurden nach Erledigung
auf demselben Weg zurückgeschickt. Nach Prüfung der Arbeiten wurden sie mit
handschriftlichen Korrekturen und Anmerkungen wieder der Post anvertraut. Das
war zwar eine umständliche Prozedur, aber Lob der betreuenden Dozenten
stachelte meinen Ehrgeiz an.
Als dann das hart erarbeitete Abschussdiplom in Bremen
ankam, war ich stolz wie ein Spanier. Im Begleitschreiben wurden Junior
Colleges in den Staaten aufgeführt und Bewerbungsformulare mitgeschickt.
Sollte ich?
Ich musste! Ein Bewerbungsschreiben ging an das Junior
College in Pasadena, Kalifornien. Die Freude war kaum zu ertragen, als ein
Brief des Dean of Admission mir mitteilte, ich würde aufgrund meiner Noten
ein Stipendium erhalten. Schnell übersetzte ich das Schreiben und legte es
meinem Vater vor. „Was ist das?“ Aufgeregt erzählte ich ihm von meinem Fernstudium.
„Ist ja schön, aber sieh lieber zu, dass Deine Latein- und Mathematiknoten besser
werden. Du bleibst hier“
Ich war enttäuscht, mit dieser Reaktion hatte ich
nicht gerechnet.
Erkenntnis: Manchmal
ist das Leben grausam
Der erste Job mit Lohnsteuerkarte
In den Ferien suchte ich einen Job. Meine Eltern
konnten keinen längeren Urlaub machen, da das Geschäft ihre Anwesenheit
verlangte. Ein Elektronikgroßhandel in Bahnhofsnähe bot mir die Chance, mein
erstes Geld zu verdienen. Die Inhaber, ein ungarisches Ehepaar, bestanden auf
eine Lohnsteuerkarte. Lohnsteuerkarte für Schüler? Herr Marciny erklärte
mir, dass er gerne eine langfristige Beschäftigung sähe, und ich hätte keine
steuerlichen Nachteile. Ich gab also meine erste Lohnsteuerkarte ab und begann
meine neue Tätigkeit.
Zwischen den Regalen stand ein Arbeitstisch mit einem
Röhrenprüfgerät. Mein künftiger Arbeitsplatz.
Nach einer kurzen Einweisung wurden nun die unterschiedlichen
Röhren von mir auf Funktionsfähigkeit geprüft. Liebling war die EC83 von
Tungsram. Aus Kostengründen wurden sie oft mit neuen Labeln versehen. Aus
Tungsram wurde Valvo. Die kosteten das Dreifache.
Erkenntnis: Die Kunden
interessieren sich nur für Qualität
Neben mir gab es noch drei weitere Schüler. Sie
stellten die Bestellungen zusammen und brachten sie zum Packraum. Dort waren
mehrere Frauen tätig. Es war ein Horror den Raum zu betreten. Die „Damen“
machten gerne zweideutige Bemerkungen und lachten schrill, wenn man einen
roten Kopf bekam.
Als ich stolz meine erste Abrechnung anschaute, fand
ich eine Abzugsposition: Kirchensteuer! Es war zwar nur ein kleiner Betrag,
aber ich lief zur molligen Buchhalterin und fragte: „Wieso muss ich Kirchensteuer
bezahlen?“ „Steht doch auf der Lohnsteuerkarte, oder? „Was kann ich dagegen
tun? „Austreten“ wurde mir lapidar entgegnet.
Auf zur genannten Stelle. Die Lohnsteuerkarte in der
Hand. „Guten Morgen, ich möchte aus der Kirche austreten.“ Hochnäsig erwiderte
die Dutt tragende Matrone: „Dann schreib hier mal die Gründe auf.“ Gründe?
„Zeigen Sie mir meinen Mitgliedsantrag, bitte.“ „Durch die Taufe bist Du
automatisch Mitglied geworden.“
Automatisch? Da wird ein unmündiges Kind in einer
Zeremonie mit Wasser besprenkelt und muss dann lebenslang dafür zahlen! Nicht
mit mir!
Minuten später war die Lohnsteuerkarte korrigiert und
ich verließ den ungastlichen Ort stolz wie ein Spanier.
Erkenntnis:
Selbstbewusstes Auftreten ist gefragt!
Lebenserfahrung:
Steuer zahlen für eine Religion ist Schutzgelderpressung
Außer der Schülerbande gab es noch einen Lehrling. Er
bemühte sich redlich, in unseren Kreis aufgenommen zu werden. Unsere Art zu
reden und herumzualbern war jedoch für ihn ein Buch mit sieben Rätseln.
Mehrfach in der Woche mussten bei Bedarf „Braunsche
Röhren“ aus einem mit einer Eisentür verschlossenen Kellerraum geholt werden.
Es war ein gängiger Jux von uns den Träger beim Verlassen des Raumes mit
markigem Gebrüll zu erschrecken. Auch Otto, der Lehrling versuchte sich in
dieser Disziplin. Ohne Erfolg, man wusste ja, dass da immer jemand
herumbrüllt.
Als er den Auftrag bekam, wartete ich hinter der Tür.
Er kam mit einem Weidenkorb voller Röhren rückwärts aus der Tür, erwartete den
Brüllangriff. Nicht mit mir! Ich legte die Hand auf seine Schulter und
flüsterte: „Na!“ Er ließ den Korb fallen und floh schreiend die Kellertreppe hoch.
Erkenntnis: Möglichst
immer neue Überraschungen einsetzen!
Der erste Verkaufserfolg
Die Marcinys luden eines Tages die gesamte Belegschaft
zu einem Mittagessen ein. Ich sollte mich an den Empfangstresen setzen, alle
Telefonate notieren und eventuelle Kunden betreuen. Die mollige Buchhalterin
hatte in ihrer Schreibtischschublade jede Menge Westernhefte. Für Entspannung
war also gesorgt. Kaum allein gelassen vertiefte ich mich in die spannenden Geschichten.
„Seine Hände hingen wie die Krallen eines Adlers über den abgewetzten Griffen
seiner Colts, ….“
„Guten Tag“ , ich schaute auf und ein elegant gekleideter
Herr stand vor mir. „Ich suche eine Musiktruhe mit Fernseher, Tonband,
Plattenspieler und Radio.“ An der Wand hinter ihm stand eine bislang unverkaufte
Truhe. Der Preis von 3600,00 DM hatte für mangelndes Interesse gesorgt.
Ich ging zu dem „guten“ Stück und wies auf das einmalige
Design und die hochwertigen Geräte hin. „Genau das habe ich gesucht. Ist es in
Ordnung, wenn ich in bar zahle und jemanden für den Abtransport vorbeischicke?
Ich zählte die Scheine sorgfältig, schrieb eine Quittung und verabschiedete
meinen ersten Kunden. „Schauen Sie gerne wieder rein!“
Die Belegschaft kehrte gut gelaunt zurück. „War etwas?“
„Alles in Ordnung, ach, die Truhe dort wird nachher abgeholt“ sprach es und
legte den Geldstapel nebst Quittung auf den Tisch.
Erkenntnis: Erfolge
soll man genießen und Provisionen sind motivierend!
Das Leben war so aufregend
Neben der Schule gab es vieles zu entdecken. Im Kino
lief „Und ewig lockt das Weib“ mit Brigitte Bardot. Es gab nur ein riesiges
Problem: freigegeben ab 16! Mit Cousin Helmut wurde der Versuch gestartet. Möglichst
wie ein Sechzehnjähriger gucken und eine Kinokarte kaufen. Ich kam an die
Kinokasse, forderte mit ernstem Gesicht eine Karte und konnte mein Glück kaum
fassen. Helmut war in der Schlange weit hinter mir.
Das Vorprogramm lief und ich setzte mich im Halbdunkel
auf meinen Platz. Gleich sollte Brigitte auf der Leinwand erscheinen und ich
konnte es kaum erwarten. Da hörte ich die aufgeregte Stimme meines lieben
Cousins vom Eingang: „Mein Cousin ist auch noch nicht sechzehn!“
„Adieu Brigitte, muss leider raus und das blöde Schaf
vertrimmen.“ Wir hatten eine mehrwöchige Sendepause danach. Ich war nicht
nachtragend, habe es ihm aber nie verziehen.
Nach der Schule gingen wir häufig in das Eiskaffee
Cortina. Der Besitzer Giulio Treti kredenzte stets günstige Eisbecher für
die Schülermeute. Er war so etwas wie ein Beichtvater und Lebensberater für
uns.
Fragen, die wir sonst niemand anderen stellen würden,
wurden von Giulio stets beantwortet. Gerade bei unseren ersten Flirtversuchen
waren seine Ratschläge besonders wertvoll.
Als ich einmal ein wunderschönes Mädchen mit ihren Freundinnen
im Cortina sah, fragte ich Giulio flüsternd nach Details dieses Zauberwesens.
„Sie ist eine Portugiesin und Tochter eines Konsulatsangestellten.“
Diese Information setzte eine Reihe von hektischen
Aktionen in Gang. Ab in die nächste Buchhandlung: „Haben Sie Portugiesisch für
Anfänger und ein Wörterbuch?
Mit den beiden Büchern unter dem Arm raste ich nach
Hause. Beim nächsten Besuch im Cortina wollte ich die Angebetete formvollendet
anbaggern. Leider besuchte sie die Eisdiele in den nächsten Wochen nicht. „Sie
ist auf Urlaub in Portugal“ , sagte Giulio. Das war die Gelegenheit meine
neuen Sprachkenntnisse zu vertiefen. Bei ihrer Rückkehr würde ich sie mit
meinem wachsenden Wortschatz überraschen.
Alles
vergebens. Sie blieb in Portugal und ich brachte mit gebrochenem Herzen die
beiden Bücher in den Keller.
Erkenntnis: Oft ist
aller Einsatz vergebens ...
Ein 2. Versuch wurde gestartet
Nach langer Leidenszeit wurde dann Ersatz für die portugiesische
Schönheit gefunden. Beim Konfirmationsunterricht gab es zwei blonde
Freundinnen. Beide waren ein Augenschmaus. Cousin Helmut hatte sich die
Kleinere ausgewählt.
Kein Problem, ich hatte mich ohnehin für Barbara entschieden.
Die Mädels erschienen stets gleich gekleidet zum Unterricht. Rote, eng
anliegende Strickkleider sorgten für erhöhte Testosteronspiegel. Blicke wurden
ausgetauscht und geheime Botschaften gesendet. Nach dem Unterricht folgten wir
den Grazien und fanden heraus, wo sie wohnten.
Unser erstes Rendezvous zeigte deutlich: Flirten
musste erstmals richtig geübt werden! Die Mädels kicherten und wir suchten
nach möglichst markigen Sprüchen.
Als ich hörte, Barbara sei ein glühender Fan von Elvis
Presley, kaufte ich umgehend „Love me Tender“ und ging abends zu ihrem Haus.
Von der gegenüberliegenden Straßenseite konnte ich Licht in ihrem Zimmer
sehen. Ich schlich zur Haustür, legte die Schallplatte auf die Fußmatte,
klingelte und hetzte zurück auf meinen Beobachtungsposten.
Die Haustür wurde geöffnet und meine Traumfrau schaute
verdutzt nach links und rechts. Niemand zu sehen. Sie bemerkte die 45er-Single,
nahm sie auf und schloss die Tür. Wenige Augenblicke später öffnete sie ihr
Zimmerfenster und ich hörte Elvis im Hintergrund singen. Mein Herz raste vor
Glück!
Erkenntnis: Das Leben
war sooo wunderbar
Unvergessen bleiben die Kinobesuche, die Eisbecher im
Cortina und die ersten Küsse. Ich wusste zwar nicht genau, was Testosteron war,
schüttete jedoch unendlich viel aus.
Leider endete diese Geschichte mit Barbara kurz nach
der Grundausbildung bei der Bundeswehr.
Erkenntnis: Dreimal
ist Bremer Recht
Meine Ferien verbrachte ich häufig bei meiner
Schwester Edith in Nienburg. Mein Schwager Karl-Heinz brachte mir das Angeln
und Luftgewehrschießen bei. Seine ausgeglichene Art hat mich sehr beeindruckt.
Versuche von ihm mir handwerkliche Grundlagen beizubringen
blieben jedoch fruchtlos.
Erkenntnis: Wer zwei
linke Hände hat, muss eben den Kopf nutzen
Ein Höhepunkt dieser Ferien war die erlaubte Fernsehstunde
je Tag. Pünktlich um 13:50 Uhr wurde das Fenster der ersten Etage geöffnet und
Ediths Schwiegermutter rief: „Heiner, reinkommen John Drake läuft gleich“
Patrick McGoohan war mein absoluter Held!
Abschied ohne Abitur
Die Entscheidung für eine humanistische Ausbildung
war nicht die optimale Lösung für mich. Die Chancen für ein gutes Abitur waren
sehr gering. Das konnte ich trotz der Mathe-Schwäche klar erkennen. Wie sollte
es nun weitergehen?
Was waren die Alternativen? Ohne einen guten Schulabschluss
sah die Zukunft nicht besonders rosig aus. Die Welt wartete sicherlich nicht
auf einen unentschlossenen 17-Jährigen.
Erkenntnis:
Wenn man nicht weiß, wohin man will, darf man sich
nicht wundern,
wenn man woanders ankommt!
Was war los im Jahre 1959?
•
Konrad Adenauer
war Bundeskanzler 1959.
•
Theodor Heuss war Bundespräsident 1959. Ab 13.9. Heinrich
Lübke
•
Wilhelm Pieck war 1959 Präsident
der DDR
•
Otto Grotewohl war 1959
Ministerpräsident der DDR
•
1959 war Dwight D. Eisenhower
amerikanischer Präsident
•
Eintracht Frankfurt war deutscher
Meister 1959
•
Jack
Brabham war mit Cooper-Climax Formel 1 Weltmeister
Wichtige Bezugspersonen
Dr. Ide
Josef Guter
Und aus heutiger Sicht
In der Schulzeit habe ich einige gravierende Fehler gemacht.
Diese mussten später mit erheblichem Aufwand korrigiert werden:
Meine Eltern hatten berufsbedingt wenig Zeit sich um meine schulische Entwicklung zu kümmern. Während der Grundschulphase reichten gute Noten aus. Meine Entscheidung auf ein humanistisches Gymnasium zu wechseln wurde kommentarlos hingenommen.
Meine Eltern hatten berufsbedingt wenig Zeit sich um meine schulische Entwicklung zu kümmern. Während der Grundschulphase reichten gute Noten aus. Meine Entscheidung auf ein humanistisches Gymnasium zu wechseln wurde kommentarlos hingenommen.
Über spätere Berufschancen und Aussichten wurde nicht
gesprochen. Als die Lateinnoten deutlich auf Schwierigkeiten hinwiesen, wurde
ein Nachhilfelehrer engagiert.
Ich war durch sportliche Erfolge (Schulmeisterschaften)
und die Tätigkeit als Redakteur der Schulzeitung mit meinem Leben zufrieden.
Leider habe ich den Blick für die Realitäten verloren. Mit etwas Einsatz wären
die Problemfächer lösbar gewesen.
„Blaue Briefe“ sorgten für mehr Nachhilfestunden. Ein
Ziel wurde nicht definiert, oder einfach nach dem Motto: „Er wird es schon
schaffen“ ignoriert. Dennoch kann ich meinen Eltern nicht vorwerfen sie hätten
Schuld an meinem Scheitern.
Die Sache mit der Korrespondenz-Schule in den USA wäre vielleicht ein guter Weg gewesen. Ohne Latein und Alt-Griechisch hätte meine Begeisterung für die englische Sprache sicherlich zu einem Erfolg geführt.
In der Grundschule zeichnete sich ein Wechsel: vom Pauker zu Lehrern. Dr. Platzer führte einen völlig neuen Stil ein. Er stärkte das Selbstvertrauen und modifizierte den Lehrplan.
Das Gymnasium gab sich Mühe durch die altsprachliche Ausrichtung eine gute Ausbildung zu bieten. Jeglicher Praxisbezug fehlte jedoch.
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