Dienstag, 16. April 2013

4.0 Altes Gymnasium



Start der humanistischen Ausbil­dung


Mit dem Übergang auf das Gymnasium wurde das Leben nun deutlich schwieriger. Jetzt hatte ich vier Sprachen zu be­wältigen.


Latein kam mir lateinisch vor.
Griechisch war spannend.
Englisch: no problem!
Deutsch: kein Problem!


Die Problemfächer waren Mathe und Latein. Noten konnten häufig nur durch meine sportlichen Leistun­gen im Handball und Beiträge zur Schulzeitung ausge­glichen wer­den.

Meine Eltern suchten einen Nachhilfelehrer. Beson­ders meine Lateinzensuren machten ihnen Sorgen.

So trat Josef Guter in mein Leben. Ich war von sei­nem Studierzimmer total begeistert. Tausende Bücher! Nach den Übungsstunden wurde über Literatur und aktuelle Ereignis­se diskutiert. Er hat mit seiner ruhigen Art und dem im­mensen Wissen meinen Literaturgeschmack wesentlich ge­prägt. Keinen Tag mehr ohne ein Buch. Latein blieb dennoch ein latenter Problemfall. Trotz der wöchentlichen Nachhilfe waren die Noten immer im roten Bereich. Ich hätte die Ein­zernote vom Griechisch gerne zur Halbierung der Lateinno­te genutzt.

Andere „schwache“ Fächer forderten oft heroischen Ein­satz. Teilnahme an den Handball-Schulmeister­schaften und eine Fortsetzungsgeschichte in der Schul­zeitung für die Un­terstufe brachten wichtige Punkte. Die Meisterschaft wurde gewonnen und ich hatte den genialen Einfall die Fortset­zung der spannenden Aben­teuergeschichte mangels eigener Einfälle in einen Wett­bewerb für den Schluss umzuwidmen.

Der erste Preis für den Schluss der Geschichte war ein Süßwarenkarton. Onkel sei Dank. Wieder eine „gute“ Mög­lichkeit zum Ausbügeln von kritischen Zensuren.

Die fürchterliche Nachprüfung mit dem guten Ende

Besonders Mathenoten waren stets in Gefahr. Ich musste wegen verpasster Klausuren an einem Samstag in der Schu­le antanzen. Oh Graus, allein mit dem strengen Dr. Böhle! Keine Unterstützung durch kom­petente Klassenkameraden. Das Leben konnte so grau­sam sein.

Die Folter fand im Musikzimmer statt. Ich erhielt die Aufgaben und schon der erste Blick lies Schlimmes erahnen. In der Not erinnerte ich mich an den Rat un­seres Ma­the-Primus: „Löse erst die Aufgaben, die du verstehst. Du wirst Zeit für die schweren Aufgaben be­nötigen.“ Zwei, drei der Aufgaben wurden mit leidlich gutem Bauchgefühl erle­digt.

Bei der vierten Aufgabe fühlte ich mich sehr klein. Nicht mal ein Lösungsansatz fiel mir ein. Dr. Böhle stand wie ein graues Monument am Pult. Grauer An­zug, graue Krawat­te! Er sah meinen verzweifelten Blick und kam an meinen Platz. Ein kurzer, strenger Blick und dann die Worte: "Ma­chen Sie doch eine kur­ze Pause und gehen zur Toilette.“ Ich dachte, nun gibt er dir den Todesstoß! Nur raus, Hilfe!

Als ich zurückkam, stand die Lösung meiner Problemaufg­abe säuberlich mit Kreide auf der Rückwand der Tafel. Was hat der Teufel bloß mit mir vor, schoss es durch mein strapaziertes Hirn. Egal, in der Not frisst der Teufel Fliegen. Dr. Böhle saß lesend auf seinem Stuhl und ignorierte mich.

Die nächste Aufgabe konnte ich einigermaßen lösen, saß aber kurz danach wieder fest. Die Prozedur wie­derholte sich. Ich wurde auf die Toilette geschickt und fand erneut die Lö­sung auf der Tafelrückwand.

Dieses Verfahren wurde bis zur letzten Aufgabe weiterge­führt. Nach Abgabe meiner Arbeit warf er einen kurzen Blick darauf und sagte: "Es geht doch, wenn Sie sich Mühe geben. Weiter so."
"Werden wir im nächsten Jahr wieder Schulhandballm­eister? Beim Finale haben Sie hervorragend ge­spielt."

Es fiel mir siedend heiß ein: Dr. Böhle war ein Handball­fanatiker!!!!!


Erkenntnis: Gute Taten können sich gelegentlich lohnen

Das kam mir sehr lateinisch vor


Auf einem humanistischen Gymnasium eine glatte 5 in Latein war nicht gerade ein Ruhmesblatt. Hier gab es Hand­lungsbedarf. Für die nächste Klausur hatte ich mir wichtige Notizen zurechtgeschnitten und konnte sie tatsächlich nut­zen. Den Tag der Rückgabe der Ar­beiten werde ich nie ver­gessen. Dr. Klee verkündete: "Der Klassendurchschnitt liegt bei 4-, nur eine Arbeit wurde mit 2+ abgegeben. Diese Ar­beit kommt ausge­rechnet von unserem Sorgenkind."

„Ich würde das Ergebnis auch gerne festschreiben, wenn nicht diese zurechtgeschnittenen Seiten im Heft geblieben wären.“ Triumphierend hielt er meine "Pro­blemlöser“ in die Luft.

Erkenntnis: Beim Schummeln sollte man besonders sorgfältig vorgehen

Meine Eltern waren sehr stolz auf mich, nachdem meine Mutter ein Lateinbuch unter meinem Kopfkis­sen fand. Der Junge war ja so fleißig. Ich hatte zwar den Vorsatz versäum­tes Grammatikwissen aufzuarbei­ten, aber nach wenigen Mi­nuten war ein Billy-Jenkins-Schmöker interessanter.

Den Trick mit den Schulbüchern unter dem Kopf­kissen habe ich dann noch oft eingesetzt. Meine Eltern erzählten von meinem Lerneifer allen Freunden und Bekannten. Der Junge macht sich!
   
Erkenntnis: Auch Eltern brauchen Erfolgserlebnisse!

Dabeisein ist alles, oder?


Für den Schulweg schenkten mir meine Eltern ein neues Fahrrad. Mit Gangschaltung und vielen Extras. Ihre Ent­täuschung war groß, als ich mich über ihr Ge­schenk nicht freute. Ich erklärte ihnen, dass an unserer Edelpenne man nur Insider war, wenn man ein mög­lichst altes Rad mit Ge­sundheitslenker fuhr. Die favori­sierte Farbe war Schwarz und Rostflecken waren er­wünscht. Außerdem gehörte ein beigefarbener Duffle­coat zum standesgemäßen Auftreten ei­nes Zöglings unseres Gymnasiums.

Das Prachtrad wurde also gegen einen klapprigen Draht­esel eingetauscht. Sicherlich waren meine Eltern sehr nach­denklich geworden. Der Junge spinnt!

Als ich dann noch den beigefarbenen Dufflecoat er­hielt, hatte das zwar keine Auswirkungen auf meine schulischen Leistungen, aber ich fühlte mich nun end­lich als vollwerti­ges Mitglied der Eliteschule.

Erkenntnis: Dabei sein ist nicht alles, aber ein schönes Ge­fühl!



Mein Lieblingsfach war Geschichte. "Drei, drei, drei bei Issos Keilerei", blieb ewig in im Gedächtnis, hat mir im spä­teren Lebenslauf aber nicht viel genutzt. Die Rö­mer und Griechen wurden sehr ausführlich behandelt. Meine Eltern schenkten mir die 36-bändige Weltge­schichte von Otto Zie­rer, und ich verschlang die Bü­cher in zwei Monaten. Die Ge­schichtszensur verbesser­te den gesamten Notenschnitt im­mens.

Als wir auf der Zeitreise zum „Dritten Reich“ ge­langten, wurde diese schreckliche Zeit in sechs Wo­chen abgehandelt. Oberstudienrat Dr. Ide hatte uns im Unterricht von seinen persönlichen Erlebnissen erzählt. Er war Stuka-Pilot und kämpfte bis zum Kriegsende im Glauben alles für das Reich und Vaterland zu tun. Erst nach der Heimkehr wurde ihm bewusst, dass er ein völlig falsches Bild von dieser Zeit hat­te. Die Wahrheit wurde ihm bewusst, und er wäre depri­miert und bis zum heutigen Tag schuldbewusst.

Er riet uns immer, die Augen aufzuhalten und Nachrich­ten stets kritisch zu betrachten. Begeistert von seinem "Ge­ständnis“ erzählten wir unsere Eltern von seiner Wandlung vom Saulus zum Paulus. Es gab eine Art Verdrängung in den Familien. Man konnte den Eindruck gewinnen! 1933 - 1945 hätte es nie gegeben.

Lebenserfahrungen: Einige Eltern mussten sich über Dr. Ide beschwert haben.

Ergebnis: Er wurde umgehend auf einen Verwal­tungsjob bei der Schulbehörde versetzt.

Wir waren empört, aber alle Fragen, warum er so behan­delt wurde, verliefen im Sande. Wir haben später versucht den Fall in unserer Schulzeitung zu diskutie­ren, wurden je­doch ausgebremst.

Erkenntnis: Wenn Du die Wahrheit sagst, denke an die Konsequenzen

In meiner Klasse fand ich schnell neue Freunde. Besond­ers der Sohn des damaligen deutschen Botschaf­ters in Mos­kau sorgte für Unterhaltung. „Gröpper, warum klopfen Sie sich immer nach einer Antwort auf die Schulter?“ „Sonst lobt mich ja keiner, Frau Doktor.“ Als Diplomatensohn hatte er schon Schulen in vielen Ländern besucht und konnte spannende Geschichten erzählen.

Die anderen Mitschüler waren der übliche Mix: Streber, Klassenclown, Sportskanonen und Lebens­künstler. Viele folgten der Familientradition. Schon Großvater war Schüler auf dem Alten Gymnasium!

Auf den großen Fluren standen auf Sockeln antike Statu­en. Von dem bronzenen Diskuswerfer hieß es: Ohne diese Spende seiner Eltern hätte der Sohn sein Abitur nie geschafft!

Lebenserfahrungen: Honi soit qui mal y pense

Große Aufregung herrschte, als dem Diskuswerfer der Penis abgebrochen wurde. Die Stifterfamilie sorgte umge­hend für Reparatur.

Erkenntnis: Tradition bleibt Tradition

Sport wurde geradezu professionell betrieben. Un­sere Handballmannschaft kämpfte stets um die Schulmeisters­chaft. Hauptgegner war das Hermann-Bö­se-Gymnasium, kurz „Jumbo“ genannt, da sie ein Ele­fantendenkmal in der Nähe hatten.

Der Gewinn der Meisterschaft half mir später bei der Mathezensur.

Erkenntnis: Sich regen bringt manchmal Segen

Weitere populäre Sportarten waren Hockey und Ru­dern. Hockey wurde nur kurzzeitig von mir betrieben. Meine Tä­tigkeit als Redakteur der Schulzeitung Her­mes und der zeit­liche Aufwand für die Nachhilfestun­den erlaubten jedoch keine weiteren Sportaktivitäten.

Lebenserfahrungen: Time-Management braucht ein­fach Zeit 

Sehr beliebt waren auch die jährlichen Theateraufführung­en in der Aula. Mein erster Einsatz war die Darstellung ei­nes murmelnden Baches. Ich musste mehrfach mit einem Mundvoll Wasser die Bühne über­queren. Die Proben waren quälend. Mir gelang einfach nicht vor lauter Lachen, das ge­forderte Plätschern zu produzieren.

Bei der Aufführung gelang es dennoch. Nur meiner Mut­ter war es peinlich, als mein Vater voller Stolz rief: „Das ist mein Sohn dort!“

Erkenntnis: Nimm den Mund nicht zu voll


Die Schulzeitung

Unsere Schulzeitung Hermes wurde fast professio­nell be­trieben. Ich nutzte die Aufforderung als Redak­teur für die Unterstufe zu arbeiten gerne. Die Tätigkeit schaffte Freiräume. Wir interviewten zum Beispiel den legendären Bürgermeister Wilhelm Kaisen. Geduldig beantwortete er die Fragen. Wir waren natürlich sehr aufgeregt. Er überzog die verabredete Zeit um fast 30 Minuten. Wir erfuhren viel über seine Aufgaben und Ansichten.

Der Artikel wurde später mehrfach ausgezeichnet.
Als ich anfing, Artikel in Englisch zu veröffentli­chen, war ich in meinem Element. Als unser Nachbar, ein Ober­studienrat, meinen Eltern mitteilte, dass meine Artikel eine weit über mein Alter herausgehende Reife hätten, wuchs de­ren Toleranzschwelle gewaltig. Der Junge war ein Genie!

Gut, dass niemand die Quelle meiner Artikel kann­te. Ich hatte einfach Inhalte und Themen der „Saturday Evening Post“ auf Unterstufenniveau umgeschrieben.

Erkenntnis: Das Rad muss ja nicht immer neu erfun­den wer­den, oder?

Die Fernschule in den USA

Als ich eine Anzeige einer Fernschule in Scranton, USA sah, reifte der Entschluss mich dort anzumelden. Ein Kursus mit dem Ziel die Aufnahmebedingungen für den Besuch ei­nes Junior Colleges schien die richtige Wahl zu sein. Man war über meine Anmeldung sehr erstaunt. Ich war der erste Europäer der Schule.

Die Aufgaben kamen per Post und wurden nach Erledig­ung auf demselben Weg zurückgeschickt. Nach Prüfung der Arbeiten wurden sie mit handschriftlichen Korrekturen und Anmerkungen wieder der Post an­vertraut. Das war zwar ei­ne umständliche Prozedur, aber Lob der betreuenden Dozen­ten stachelte meinen Ehrgeiz an.

Als dann das hart erarbeitete Abschussdiplom in Bremen ankam, war ich stolz wie ein Spanier. Im Be­gleitschreiben wurden Junior Colleges in den Staaten aufgeführt und Be­werbungsformulare mitgeschickt. Sollte ich?

Ich musste! Ein Bewerbungsschreiben ging an das Junior College in Pasadena, Kalifornien. Die Freude war kaum zu ertragen, als ein Brief des Dean of Ad­mission mir mitteilte, ich würde aufgrund meiner No­ten ein Stipendium erhalten. Schnell übersetzte ich das Schreiben und legte es meinem Vater vor. „Was ist das?“ Aufgeregt erzählte ich ihm von meinem Fernstu­dium. „Ist ja schön, aber sieh lieber zu, dass Deine La­tein- und Mathematiknoten besser werden. Du bleibst hier“

Ich war enttäuscht, mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet.

Erkenntnis: Manchmal ist das Leben grausam

Der erste Job mit Lohnsteuerkarte


In den Ferien suchte ich einen Job. Meine Eltern konnten keinen längeren Urlaub machen, da das Ge­schäft ihre Anwe­senheit verlangte. Ein Elektronikgroß­handel in Bahnhofsnä­he bot mir die Chance, mein ers­tes Geld zu verdienen. Die Inhaber, ein ungarisches Ehepaar, bestanden auf eine Lohn­steuerkarte. Lohn­steuerkarte für Schüler? Herr Marciny er­klärte mir, dass er gerne eine langfristige Beschäftigung sä­he, und ich hätte keine steuerlichen Nachteile. Ich gab also meine erste Lohnsteuerkarte ab und begann meine neue Tä­tigkeit.

Zwischen den Regalen stand ein Arbeitstisch mit ei­nem Röhrenprüfgerät. Mein künftiger Arbeitsplatz.

Nach einer kurzen Einweisung wurden nun die unters­chiedlichen Röhren von mir auf Funktionsfähigkeit geprüft. Liebling war die EC83 von Tungsram. Aus Kostengründen wurden sie oft mit neuen Labeln verse­hen. Aus Tungsram wurde Valvo. Die kosteten das Dreifache.

Erkenntnis: Die Kunden interessieren sich nur für Qualität

Neben mir gab es noch drei weitere Schüler. Sie stellten die Bestellungen zusammen und brachten sie zum Pack­raum. Dort waren mehrere Frauen tätig. Es war ein Horror den Raum zu betreten. Die „Damen“ machten gerne zwei­deutige Bemerkungen und lachten schrill, wenn man einen roten Kopf bekam.

Als ich stolz meine erste Abrechnung anschaute, fand ich eine Abzugsposition: Kirchensteuer! Es war zwar nur ein kleiner Betrag, aber ich lief zur molligen Buchhalterin und fragte: „Wieso muss ich Kirchensteu­er bezahlen?“ „Steht doch auf der Lohnsteuerkarte, oder? „Was kann ich dagegen tun? „Austreten“ wurde mir lapidar entgegnet.

Auf zur genannten Stelle. Die Lohnsteuerkarte in der Hand. „Guten Morgen, ich möchte aus der Kirche austre­ten.“ Hochnäsig erwiderte die Dutt tragende Matrone: „Dann schreib hier mal die Gründe auf.“ Gründe? „Zeigen Sie mir meinen Mitgliedsantrag, bit­te.“ „Durch die Taufe bist Du automatisch Mitglied ge­worden.“

Automatisch? Da wird ein unmündiges Kind in ei­ner Zeremonie mit Wasser besprenkelt und muss dann lebens­lang dafür zahlen! Nicht mit mir!

Minuten später war die Lohnsteuerkarte korrigiert und ich verließ den ungastlichen Ort stolz wie ein Spa­nier.

Erkenntnis: Selbstbewusstes Auftreten ist gefragt!

Lebenserfahrung: Steuer zahlen für eine Religion ist Schutzgelderpressung

Außer der Schülerbande gab es noch einen Lehr­ling. Er bemühte sich redlich, in unseren Kreis aufge­nommen zu werden. Unsere Art zu reden und herum­zualbern war je­doch für ihn ein Buch mit sieben Rät­seln.

Mehrfach in der Woche mussten bei Bedarf „Braun­sche Röhren“ aus einem mit einer Eisentür verschlosse­nen Kel­lerraum geholt werden. Es war ein gängiger Jux von uns den Träger beim Verlassen des Raumes mit markigem Ge­brüll zu erschrecken. Auch Otto, der Lehrling versuchte sich in dieser Disziplin. Ohne Erfolg, man wusste ja, dass da im­mer jemand herumbrüllt.

Als er den Auftrag bekam, wartete ich hinter der Tür. Er kam mit einem Weidenkorb voller Röhren rückwärts aus der Tür, erwartete den Brüllangriff. Nicht mit mir! Ich legte die Hand auf seine Schulter und flüsterte: „Na!“ Er ließ den Korb fallen und floh schreiend die Kellertreppe hoch.

Erkenntnis: Möglichst immer neue Überraschungen einset­zen!

Der erste Verkaufserfolg

Die Marcinys luden eines Tages die gesamte Beleg­schaft zu einem Mittagessen ein. Ich sollte mich an den Emp­fangstresen setzen, alle Telefonate notieren und eventuelle Kunden betreuen. Die mollige Buchhalterin hatte in ihrer Schreibtischschublade jede Menge Wes­ternhefte. Für Ent­spannung war also gesorgt. Kaum al­lein gelassen vertiefte ich mich in die spannenden Ge­schichten. „Seine Hände hin­gen wie die Krallen eines Adlers über den abgewetzten Grif­fen seiner Colts, ….“

„Guten Tag“ , ich schaute auf und ein elegant ge­kleideter Herr stand vor mir. „Ich suche eine Musiktru­he mit Fernse­her, Tonband, Plattenspieler und Radio.“ An der Wand hin­ter ihm stand eine bislang unverkauf­te Truhe. Der Preis von 3600,00 DM hatte für mangeln­des Interesse gesorgt.

Ich ging zu dem „guten“ Stück und wies auf das einma­lige Design und die hochwertigen Geräte hin. „Genau das habe ich gesucht. Ist es in Ordnung, wenn ich in bar zahle und jemanden für den Abtransport vorbeischicke? Ich zählte die Scheine sorgfältig, schrieb eine Quittung und verabschie­dete meinen ersten Kun­den. „Schauen Sie gerne wieder rein!“

Die Belegschaft kehrte gut gelaunt zurück. „War et­was?“ „Alles in Ordnung, ach, die Truhe dort wird nachher abge­holt“ sprach es und legte den Geldstapel nebst Quittung auf den Tisch.

Erkenntnis: Erfolge soll man genießen und Provisionen sind motivierend!

Das Leben war so aufregend

Neben der Schule gab es vieles zu entdecken. Im Kino lief „Und ewig lockt das Weib“ mit Brigitte Bar­dot. Es gab nur ein riesiges Problem: freigegeben ab 16! Mit Cousin Helmut wurde der Versuch gestartet. Mög­lichst wie ein Sechzehn­jähriger gucken und eine Kino­karte kaufen. Ich kam an die Kinokasse, forderte mit ernstem Gesicht eine Karte und konnte mein Glück kaum fassen. Helmut war in der Schlan­ge weit hinter mir.

Das Vorprogramm lief und ich setzte mich im Halbdunk­el auf meinen Platz. Gleich sollte Brigitte auf der Leinwand erscheinen und ich konnte es kaum erwar­ten. Da hörte ich die aufgeregte Stimme meines lieben Cousins vom Eingang: „Mein Cousin ist auch noch nicht sechzehn!“

„Adieu Brigitte, muss leider raus und das blöde Schaf vertrimmen.“ Wir hatten eine mehrwöchige Sen­depause da­nach. Ich war nicht nachtragend, habe es ihm aber nie ver­ziehen.

Nach der Schule gingen wir häufig in das Eiskaffee Corti­na. Der Besitzer Giulio Treti kredenzte stets güns­tige Eisbe­cher für die Schülermeute. Er war so etwas wie ein Beichtva­ter und Lebensberater für uns.

Fragen, die wir sonst niemand anderen stellen wür­den, wurden von Giulio stets beantwortet. Gerade bei unseren ersten Flirtversuchen waren seine Ratschläge besonders wertvoll.

Als ich einmal ein wunderschönes Mädchen mit ih­ren Freundinnen im Cortina sah, fragte ich Giulio flüs­ternd nach Details dieses Zauberwesens. „Sie ist eine Portugiesin und Tochter eines Konsulatsangestellten.“

Diese Information setzte eine Reihe von hektischen Aktion­en in Gang. Ab in die nächste Buchhandlung: „Haben Sie Portugiesisch für Anfänger und ein Wörterbuch?

Mit den beiden Büchern unter dem Arm raste ich nach Hause. Beim nächsten Besuch im Cortina wollte ich die An­gebetete formvollendet anbaggern. Leider besuchte sie die Eisdiele in den nächsten Wochen nicht. „Sie ist auf Urlaub in Portugal“ , sagte Giulio. Das war die Gele­genheit meine neuen Sprachkenntnisse zu vertiefen. Bei ihrer Rückkehr würde ich sie mit meinem wachsenden Wortschatz überra­schen.

Alles vergebens. Sie blieb in Portugal und ich brachte mit gebrochenem Herzen die beiden Bücher in den Keller.

Erkenntnis: Oft ist aller Einsatz vergebens ...

Ein 2. Versuch wurde gestartet


Nach langer Leidenszeit wurde dann Ersatz für die por­tugiesische Schönheit gefunden. Beim Konfirmationsunterr­icht gab es zwei blonde Freundinnen. Beide waren ein Au­genschmaus. Cousin Helmut hatte sich die Kleinere ausge­wählt.


Kein Problem, ich hatte mich ohnehin für Barbara ent­schieden. Die Mädels erschienen stets gleich geklei­det zum Unterricht. Rote, eng anliegende Strickkleider sorgten für erhöhte Testosteronspiegel. Blicke wurden ausgetauscht und geheime Botschaften gesendet. Nach dem Unterricht folgten wir den Grazien und fanden heraus, wo sie wohnten.

Unser erstes Rendezvous zeigte deutlich: Flirten musste erstmals richtig geübt werden! Die Mädels ki­cherten und wir suchten nach möglichst markigen Sprüchen.

Als ich hörte, Barbara sei ein glühender Fan von El­vis Presley, kaufte ich umgehend „Love me Tender“ und ging abends zu ihrem Haus. Von der gegenüber­liegenden Stra­ßenseite konnte ich Licht in ihrem Zim­mer sehen. Ich schlich zur Haustür, legte die Schall­platte auf die Fußmatte, klingel­te und hetzte zurück auf meinen Beobachtungsposten.

Die Haustür wurde geöffnet und meine Traumfrau schaute verdutzt nach links und rechts. Niemand zu sehen. Sie bemerkte die 45er-Single, nahm sie auf und schloss die Tür. Wenige Augenblicke später öffnete sie ihr Zimmerfens­ter und ich hörte Elvis im Hintergrund singen. Mein Herz raste vor Glück!

Erkenntnis: Das Leben war sooo wunderbar

Unvergessen bleiben die Kinobesuche, die Eisbecher im Cortina und die ersten Küsse. Ich wusste zwar nicht genau, was Testosteron war, schüttete jedoch unend­lich viel aus.

Leider endete diese Geschichte mit Barbara kurz nach der Grundausbildung bei der Bundeswehr.

Erkenntnis: Dreimal ist Bremer Recht


Meine Ferien verbrachte ich häufig bei meiner Schwester Edith in Nienburg. Mein Schwager Kar­l-Heinz brachte mir das Angeln und Luftgewehrschie­ßen bei. Seine ausgegliche­ne Art hat mich sehr beein­druckt.

Versuche von ihm mir handwerkliche Grundlagen beizu­bringen blieben jedoch fruchtlos.

Erkenntnis: Wer zwei linke Hände hat, muss eben den Kopf nut­zen


Ein Höhepunkt dieser Ferien war die erlaubte Fernsehs­tunde je Tag. Pünktlich um 13:50 Uhr wurde das Fenster der ersten Etage geöffnet und Ediths Schwie­germutter rief: „Heiner, reinkommen John Drake läuft gleich“

Patrick McGoohan war mein absoluter Held!

Abschied ohne Abitur


Die Entscheidung für eine humanistische Ausbil­dung war nicht die optimale Lösung für mich. Die Chancen für ein gutes Abitur waren sehr gering. Das konnte ich trotz der Mathe-Schwäche klar erkennen. Wie sollte es nun weiterge­hen?

Was waren die Alternativen? Ohne einen guten Schulab­schluss sah die Zukunft nicht besonders rosig aus. Die Welt wartete sicherlich nicht auf einen unent­schlossenen 17-Jäh­rigen.

Erkenntnis:

Wenn man nicht weiß, wohin man will, darf man sich nicht wundern, 
wenn man woanders ankommt!



Was war los im Jahre 1959?


          Konrad Adenauer war Bundeskanzler 1959.

          Theodor Heuss war Bundespräsident 1959. Ab 13.9. Heinrich Lübke

         Wilhelm Pieck war 1959 Präsident der DDR

          Otto Grotewohl war 1959 Ministerpräsident der DDR

         1959 war Dwight D. Eisenhower amerikanischer Präsident

         Eintracht Frankfurt war deutscher Meister 1959

           Jack Brabham war mit Cooper-Climax Formel 1 Weltmeister

Wichtige Bezugspersonen

Dr. Ide
Josef Guter

Und aus heutiger Sicht


In der Schulzeit habe ich einige gravierende Fehler ge­macht. Diese mussten später mit erheblichem Auf­wand kor­rigiert werden:
        
Meine Eltern hatten berufsbedingt wenig Zeit sich um mei­ne schulische Entwicklung zu kümmern. Während der Grundschulphase reichten gute Noten aus. Meine Entschei­dung auf ein humanistisches Gymnasium zu wechseln wur­de kommentarlos hingenommen.

Über spätere Berufschancen und Aussichten wurde nicht gesprochen. Als die Lateinnoten deutlich auf Schwierigkei­ten hinwiesen, wurde ein Nachhilfelehrer engagiert.

Ich war durch sportliche Erfolge (Schulmeister­schaften) und die Tätigkeit als Redakteur der Schulzei­tung mit mei­nem Leben zufrieden. Leider habe ich den Blick für die Reali­täten verloren. Mit etwas Einsatz wä­ren die Problemfächer lösbar gewesen.

„Blaue Briefe“ sorgten für mehr Nachhilfestunden. Ein Ziel wurde nicht definiert, oder einfach nach dem Motto: „Er wird es schon schaffen“ ignoriert. Dennoch kann ich meinen Eltern nicht vorwerfen sie hätten Schuld an meinem Scheitern.

Die Sache mit der Korrespondenz-Schule in den USA wäre vielleicht ein guter Weg gewesen. Ohne Latein und Alt-Griechisch hätte meine Begeisterung für die englische Spra­che sicherlich zu einem Erfolg geführt.

In der Grundschule zeichnete sich ein Wechsel: vom Pauker zu Lehrern. Dr. Platzer führte einen völlig neu­en Stil ein. Er stärkte das Selbstvertrauen und modifi­zierte den Lehrplan.

Das Gymnasium gab sich Mühe durch die altsprachli­che Ausrichtung eine gute Ausbildung zu bieten. Jegli­cher Pra­xisbezug fehlte jedoch.







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